An die Frankfurter Delegierten des SPD Sonderparteitages am 21. Januar 2018

Liebe Delegierte des Sonderparteitages,

der Ortsverein Nordweststadt-Süd fürchtet um die politische Glaubwürdigkeit der SPD, wenn sich die Partei erneut zu einer Großen Koalition hinreißen lässt.

Für einen Politikwechsel hatten wir im Sommer einen engagierten Wahlkampf geführt! Ein steter Begleiter in der Zeit auf der Frankfurter Gasse war der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, dass uns allen eine weitere Große Koalition erspart bleiben würde. Wir hatten uns unter Nennung von Optionen (so „Dann SPD wählen!“) diesen Wünschen angeschlossen.

Obwohl augenscheinlich war, dass insbesondere die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder für wesentliche Ergebnisse der letzten Legislaturperiode verantwortlich waren, wurde dies von den Wählerinnen und Wählern nicht erkannt und abgelehnt. Ein noch so engagierter Wahlkampf unsererseits konnte dieses Defizit im Ergebnis nicht korrigieren.

Dies wird uns erst recht nicht mehr gelingen, wenn wir uns ein weiteres Mal unter das Diktat einer Großen Koalition stellen und uns von einer ansichts- und wertefreien Merkel führen lassen. Eine Koalitionsvertragsräson würde ein weiteres Mal unsere eigentlichen politischen Ziele zur Unkenntlichkeit zerfallen lassen, was einen unweigerlichen Zerfall unserer Partei zur Folge hätte. Zur daseinsnotwendigen Haltung von Mensch und Partei gehört es, dass Wort gehalten und für Werte und Ziele eingestanden wird! Verklausuliertes Reden und Allgemeinversprechen helfen nicht mehr weiter und machen unglaubwürdig (wenn überhaupt noch jemand zuhört!).

Die Erfahrungen der letzten Wochen mit insbesondere den „Kleinen“ Schwarzen hat gezeigt, dass ein zuverlässiges politisches Handeln mit solchen Partnern nicht möglich ist. Es bestehen große Zweifel daran, dass Gestaltungsziele wie

  • ein gerechtes Sozialversicherungssystem,

  • gerechte Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen,

  • Verteilungsgerechtigkeit und leistungsorientierte Besteuerung (Vermögenssteuer),

  • gerecht fördernde Bildungsbedingungen für jeden Heranwachsenden in unserem Land und

  • ein Geradestehen für unseren imperialen Lebensstil als eine der Ursachen für Flucht- und Vertreibung sowie

  • Rückkehr zu einer aktiven Friedens- statt Kriegsführungspolitik

  • die Förderung von an Solidarität orientierten Grundwerten

nicht möglich ist.

Insbesondere die letzten Tage zeigen mit der Ablehnung des Familienzuzugs eine nahezu menschenverachtende Haltung der möglichen Koalitionspartner. Welch ein Menschen- und Familienbild muss in derartigen Personen stecken, die sich aufgrund von Ressentiment getriebenen Partikularinteressen so kalt zeigen können. Beziehungen jedweder Form stellen die Basis unseres Zusammenlebens dar. Dies aus niedrigen Instinktgründen nicht zu fördern oder gar zu verhindern, lässt große Zweifel an den angeblich christlichen Grundwerten dieser beiden Parteien erkennen. Schon eine Beschränkung des Zuzugs auf Ehepartner und Kinder passt nicht in eine Zeit der „Ehe für alle“, insbesondere bei der Betrachtung, dass Homosexualität in vielen Ländern allein schon oft ein Grund für Flucht und Vertreibung ist.

In der Europa-Politik steht die Ausweitung der Rüstungsanstrengungen (Pesco) im Zentrum. Deutschland soll aufgrund des Drucks seitens der USA seine Rüstungsausgaben verdoppeln. Die EU-Kommission will eine europäische Armee aufstellen, das ist eine Einigung in der Sondierung. Heute schon werden aufgrund der Abschaffung der Wehrpflicht und damit des Bürgers in Uniform, Minderjährige an den Schulen für die Bundeswehr geworben und auch eingezogen. Das widerspricht dem Weg eines friedlichen und sozialen Europa.

Die großen Herausforderungen, die die Menschen in ihrer Mehrheit bewegen und die durch die 15 Jahre Agenda-Politik aufgetürmt wurden, der Abbau der Tarifbindung und die Ausweitung der prekären Beschäftigung, die personelle Austrocknung der Alten- und Krankenpflege, der Investitionsstau bei der Renovierung der Schulen, kostenlosen Kinderversorgung, die Überforderung der öffentlichen Verwaltung durch Personalabbau wegen Schwarzer Null und Schuldenbremse, die fehlenden Sozialwohnungen… zu all diesen Herausforderungen haben die Sondierungsgespräche kein wirkliches Aktionsprogramm entwickelt, das diese Fragen löst.

Korrekturen an der Agenda-Politik haben die Wählerinnen und Wähler genauso abgelehnt wie die Fortsetzung dieser Politik des verstärkten Kaputtsparens und der Wettbewerbsfähigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das Signal für eine Wende zu einer Politik der Solidarität und sozialen Sicherheit gehen von den Sondierungsgesprächen nicht aus. Wir brauchen eine Politik, die glaubwürdig den Menschen eine Perspektive gibt und die SPD wieder wählbar macht.

Allein diese Punkte zeigen auf, wie wenig politisch erfolgreich eine erneute Große Koalition sein könnte bzw. sollen sie Euch als Wegmarken dafür dienen, ob Ihr überhaupt dem Ansinnen zur Aufnahme von Koalitionsgesprächen zustimmen werdet.

Der Ortsverein Nordweststadt-Süd möchte Euch in diesem Sinne sehr in Eurer Haltung unterstützen, die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen über eine erneute Große Koalition abzulehnen und die politischen Ziele und unsere Partei mit ihren Werten und ihren ganz besonderen Mitgliedern nicht leichtsinnig zu verspielen und!

Nicht noch eine Groko, sondern Stopp dem Niedergang der SPD.

Robert Pastyrik (Vorsitzender), Tanja Clauß (stellv. Vorsitzende), Michael Altmann (stellv. Vors.)
für den SPD-Ortsverein Nordweststadt Süd im UB Frankfurt am Main